Schreiben Sie besser ohne Adjektive

Warum man mit Adjektive sparsam umgehen, oder sie gar weglassen soll, erklärt unsere Bloggerin Jelena Martinelli.

In der Primarschule gab es eine Lehrerin, die wir alle nur «die Nonne» nannten. Allerdings nicht, weil sie prüde gewesen wäre. Was sie definitiv war. Oder ihre Bluse bis unters Kinn zugeknöpft getragen hätte. Was sie tat. Sondern, weil sie wirklich als Ordensschwester lebte. Katholisch und streng, war sie ausserdem unerbittlich mit uns Schülern.

Aufsätze erwartete sie in sauberer Schnüerlischrift und in einwandfreiem Deutsch von uns – ein Wort, das ihr nicht gefiel, und schon fitzte einem ihr Plastiklineal über die Finger. Ich gab mir deshalb immer die grösste Mühe. So lautete einer meiner Sätze aus der sechsten Klasse, den ich anlässlich des Sommerlagers im Wallis schrieb: «Wir hüpften fröhlich über die grünen Wiesen mit den schönen Blumen und erfreuten uns an den klaren Bächen und dem weissen Schnee auf den hohen Bergspitzen.»

Adjektive verwässern die Aussage

Ich wusste nämlich, dass die Nonne einen Fetisch hatte: Das Adjektiv. Kein Substantiv durfte ohne Begleitung des «Wiewortes» im Schulheft erscheinen, so ähnlich, wie sie selbst sich nie ohne Kopfhaube im Klassenzimmer hätte blicken lassen.

Was ich damals aber nicht wusste: Wer prägnant schreiben will, sollte Adjektive meiden – vielleicht nicht gerade wie der Teufel das Weihwasser, aber so ähnlich. Denn in den meisten Fällen sind sie überflüssig oder nichtssagend und verwässern eine Aussage wie ein tropfender Pinsel ein Aquarell.

Um fair zu sein: Mit dem Beharren auf dem Adjektiv war die Nonne nicht allein – landauf, landab wird nach wie vor den Schülerinnen und Schülern beigebracht, möglichst viele davon in einen Text zu streuen. Der Grund dafür ist nachvollziehbar: Die Kinder sollen den Reichtum der deutschen Sprache kennenlernen. Mit Wortarten zu experimentieren, erweitert den Wortschatz. Das Problem ist: Wenn man erwachsen ist, erzählt einem niemand, dass es nun an der Zeit sei, das «Wiewort» aus dem Vokabular zu streichen. Doch so, wie man irgendwann die Stützräder vom Velo nimmt oder die Schwimmflügel von den Armen, sollte man das Adjektiv abstreifen.

Mit starken Substantiven arbeiten

Schauen wir uns meinen Satz aus der sechsten Klasse an. Heute würde ich mir das «weiss» beim Schnee sparen – denn wie soll Schnee sonst sein? Auch die «hohen» Bergspitzen: Haben Sie je von tiefen gehört? Bei den «grünen» Wiesen dasselbe – wären sie aufgrund eines sengenden Sommers vertrocknet gewesen, hätte ich das Wort «braun» verwendet; «grün» hingegen ist der Normalfall und deshalb überflüssig. Auch wenn ich eine Blume als «schön» bezeichne, lässt das keine Bilder vor dem inneren Auge entstehen – genauso wenig, wie wenn ich «reizvoll» oder «bezaubernd» sage. Erzähle ich Ihnen jedoch von Vergissmeinnicht und Löwenzahn, sehen Sie es gleich blau und gelb leuchten, oder?

Ein aussagekräftiges Substantiv ist also viel stärker als ein gewöhnliches, das mit einem Adjektiv kombiniert wird – der «Sturm» lässt eher das Kopfkino anspringen als der «starke Wind», und das «Schluchzen» hat viel mehr Kraft als das «heftige Weinen». Wenn auch Sie zu einer Art Nonne zur Schule gegangen sind, vergessen Sie getrost, was sie Ihnen erzählt hat. Denken Sie lieber an den französischen Verleger Georges Clemenceau und daran, was er seinen Schreibern empfahl: «Wenn Sie ein Adjektiv verwenden wollen, so kommen Sie zu mir in den dritten Stock und fragen, ob es nötig ist.»

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