Warum man dem ersten Eindruck eine zweite Chance geben sollte

Unsere Gesetze verlangen, dass niemand aufgrund seines Geschlechts, seiner Religion, seiner Weltanschauung oder seiner Herkunft benachteiligt werden darf. Studien weisen jedoch nach, wie schnell wir mittels unbewusster mentaler Abkürzungen auf Schubladendenken und Klischees zurückgreifen, um andere zu beurteilen. Dabei sollten wir nicht immer glauben, was wir denken.

Ob uns ein Fremder sympathisch ist oder nicht, das beruht meist auf unbewussten, unreflektierten und vor allem sehr schnell ablaufenden Prozessen in unserem Kopf. Ein Blick, ein paar Worte reichen. Schon haben wir einen ersten Eindruck von unserem Gegenüber. Aus Sicht der Evolutionspsychologie mag das sinnvoll sein, denn die schnelle Einschätzung kann uns vor unliebsamen Überraschungen schützen. Schnell überprüfen wir, ob wir dem anderen trauen können. Ist er Freund oder Feind? Dennoch sollten wir uns immer auch bewusst sein, dass der erste Eindruck nur ein grober Anhaltspunkt ist.

Ein Sicherungsmechanismus des Gehirns

Studien zeigen, dass manchmal nur wenige Millisekunden genügen, um uns von einem anderen ein Bild zu machen. Treffen wir auf einen Fremden, setzen wir gerne so wenig mentale Energie wie möglich ein und nehmen lieber Abkürzungen wie Schubladendenken oder Klischees, um zu schnellen Urteilen zu gelangen.

Für unser Gehirn ist die unbewusste Orientierung an Vorurteilen ein Sicherungsmechanismus, der uns eine schnelle und oftmals angemessene Reaktion ermöglicht. Unser Unbewusstes sucht dabei nach Mustern, um die Welt schnell und effizient zu begreifen, und zwar von Kindheit an. Denn das oberste Prinzip unseres Organismus ist Überleben. Um effizient und energieschonend zu arbeiten, greift es deswegen gerne auf bekannte Muster zurück.

Bewusster Umgang mit unbewussten Vorurteilen

Die mentale Abkürzung hat jedoch den Nachteil, dass die Beurteilungen nicht objektiv, sondern sehr vereinfachend und stereotypisierend sind. Viele unserer Schlussfolgerungen werden schnell und intuitiv getroffen und dann stabil und dauerhaft in unserem Gedächtnis abgespeichert. Oftmals lässt sich das im Nachhinein nur schwer revidieren. Selbst dann nicht, wenn wir eindeutige Beweise haben, dass wir mit unserer Meinung vollkommen danebenliegen.

Die US-amerikanische Sozialpsychologin Nalini Ambady konnte mit einer Serie von Experimenten nachweisen, dass wir mit unseren schnellen Einschätzungen zwar oftmals tatsächlich richtigliegen, dennoch sollten wir in Sachen erster Eindruck auch den Verstand zu Rate ziehen. Denn „oftmals richtigliegen“ heisst nicht, dass es immer stimmt, und vor allem nicht, dass das Bild zu 100 Prozent stimmt.

Grobe Einschätzungen wie „Mit dem kann man bestimmt Pferde stehlen“ oder „Mit der ist sicherlich nicht gut Kirschen essen“ lassen keine komplexen Aussagen zum Beispiel über die Gewissenhaftigkeit, Kreativität oder Kooperationsfähigkeit eines Menschen zu. Das erfordert mehr Wissen und eine genauere Prüfung.

Hier eine Auswahl an typischen Wahrnehmungs- und Denkfehlern:

Fundamentaler Attributionsfehler

Einzig in der Persönlichkeit eines Menschen die Ursache für seine Handlungen zu sehen nennt man in der Psychologie „fundamentaler Attributionsfehler“. Der Begriff beschreibt, wie man manchmal charakterliche Eigenschaften überbewertet und gleichzeitig situative Faktoren unterbewertet. Sprich, die Kellnerin oder der Busfahrer, die uns gerade angemotzt haben, müssen nicht zwangsläufig unfreundliche Menschen sein. Manchmal hat jemand einfach nur schlechte Laune. Wer weiss, was ihr oder ihm heute passiert ist, so dass sie/er in diesem Moment Ihnen gegenüber gerade einem inneren, leider negativen Impuls nachgegeben hat?

Halo-Effekt

Beim Halo-Effekt (halo, engl. Heiligenschein) handelt es sich um eine Wahrnehmungsverzerrung, die erstmals vom US-amerikanischen Psychologen Edward Thorndike beschrieben wurde. Aufgrund von wenigen äusseren Merkmal schliessen wir auf weitere entsprechende Eigenschaften. Finden wir jemanden attraktiv, dichten wir ihm leicht an, auch intelligent oder erfolgreich zu sein. Dabei hat das eine mit dem anderen nichts zu tun.

Anchoring

Wir können weder alle Informationen aufnehmen noch diese gleich gewichten. Meistens bleibt die erste Information am stärksten hängen – oder diejenige, die uns am meisten berührt. Wie ein Anker bleibt diese Information im Gedächtnis und beeinflusst uns.

Bestätigungstendenz

Das Phänomen der Bestätigungstendenz kann sowohl eine Verstärkung als auch eine Abwertung bewirken. Wurden wir beim Jobbeginn vor einem Zusammentreffen mit einem neuen Kollegen gebrieft, zum Beispiel: „Zum Kollegen Müller will ich lieber nichts sagen. Mach dir besser selbst ein Bild“, oder: „Die Projektleiterin ist megahilfsbereit“, dann gehen wir schon mit einer gewissen Annahme auf den anderen zu und suchen entsprechende Bestätigungen.

Confirmation Bias

Wir tendieren nicht nur dazu, mit Argusaugen Ausschau nach den entsprechenden Eigenschaften zu halten. Verhaltensweisen, die nicht zu der vorgefassten Meinung passen, übersehen wir leicht oder spielen sie herunter. Die Tendenz, dass wir das, was wir bereits glauben, auch weiterhin glauben wollen und deswegen unsere Umwelt auf entsprechende Bestätigungen (confirmation) abscannen, gehört zu den stärksten Verzerrungen.

Ingroup Bias

Dieser Begriff beschreibt, wie sehr wir uns vom Gruppendenken leiten lassen. Ausschlaggebend ist dabei unsere Innengruppe (ingroup). Sobald wir jemanden zu dieser Gruppe zählen, weil er uns zum Beispiel ähnlich sieht oder die gleichen Hobbys hat, stufen wir ihn tendenziell positiver ein.

Fazit

Unser erster Eindruck ist sicherlich eher oberflächlich, aber nicht nutzlos. Wir können sehr zuverlässig die groben Umrisse der Persönlichkeit eines Fremden erkennen. Dieses erste Bild ist jedoch nie wirklich vollständig. Oftmals fehlen uns wesentliche Informationen, und dann liegen wir komplett falsch mit unserer Beurteilung. In Sachen Menschenkenntnis und Fähigkeitsdiagnosen sollten wir uns also nicht immer auf die Intuition verlassen, sondern unseren ersten Eindruck einer genaueren Überprüfung unterziehen. Immerhin wollen auch wir nicht Opfer einer verzerrten Wahrnehmung werden.

 

 

1 comment for “Warum man dem ersten Eindruck eine zweite Chance geben sollte

  1. 20. Dezember 2019 at 17:44

    Herzlichen Dank für den sehr spannenden Beitrag! Der persönliche Umgang mit Vorurteilen ist meiner Meinung nach eng mit der Suche nach Selbstbestätigung verbunden. Hat man mit einer Person gute Erfahrungen gemacht, so ist man positiver auf sie eingestellt und sieht vor allem ihre positiven Seiten. Dasselbe gilt für negative Erfahrungen. In diesem Rahmen bestätigen wir so unser Vorurteil (und indirekt uns selbst) und halten deshalb weiterhin daran fest. Aus diesem Grund fällt es uns manchmal so schwer, unsere Vorurteile wegzuwerfen und durch Urteile zu ersetzen.

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