Der verborgene Luxus

Ist es nicht befremdlich, dass Negativ-Schlagzeilen wie beispielsweise der VW-Abgasskandal, die #MeToo-Bewegung, Steuerhinterziehung, ungetreue Geschäftsführung oder der lockere Umgang mit persönlichen Kundendaten – um nur einige Beispiele zu nennen – normal geworden sind? Wie viele intelligente, erwachsene Menschen treffen tagtäglich Fehlentscheidungen, können nicht zwischen richtig und falsch entscheiden? Von aussen betrachtet hat man das Gefühl, dass Kinder noch viel besser spüren, was ehrlich, richtig und fair ist, was gut tut und was nicht. Klar, gerade in der Wirtschaft ist es nicht immer einfach, überhaupt zu wissen was situativ und langfristig richtig oder falsch ist, denn es sind ja immer mehrere Stakeholder mit im Spiel und jeder Mensch hat seinen individuellen Wertekatalog – es gibt nicht nur ein richtig oder falsch. Was für den einen ethisch korrekt ist, ist für den anderen bereits grenzwertig. Den meisten Menschen hilft die Fragestellung «Wenn über mein Verhalten auf der ersten Seite der Tagespresse berichtet würde, wäre ich dann stolz über meine Entscheidung oder müsste ich mich schämen und hätte schlaflose Nächte?» Oder, «Wie würde wohl meine Reflexion aussehen, wenn diese nur die Innenseite der Gefängnismauern sehen würde?»

Allen Skandalen gemein ist, dass sie rückblickend nicht nur in einem ethischen, sondern auch in einem rechtlichen und finanziellen Desaster enden, weil die Reputation massiv beschädigt worden ist, einmal ganz abgesehen von dem entstandenen Leid für Betroffene. Für einen kurzen Moment ein paar Schritte zurück zu treten, lohnt sich demnach, um zugunsten guter Entscheidungen im wahrsten Sinne des Wortes zur Besinnung zu kommen. Aber wie?

Beginnen wir von vorne. Damit ich eine wichtige und tragfähige Entscheidung verantwortungsvoll fällen kann, mit welcher ich im Nachhinein auch zufrieden bin und diese meine Werthaltung widerspiegelt, ist es wichtig, gut mit mir selbst in Kontakt zu sein. Grundvoraussetzung dafür ist, dass ich mich selbst spüren und auf die Signale aus meinem Inneren achten und reagieren kann. Diese Signale werden in der Entspannungsmedizin auch als somatische Marker bezeichnet. Nun was heisst das eigentlich, mit mir selbst in Kontakt zu sein und mich zu spüren? Es heisst, nicht nur einen rational-logischen Kopfentscheid zu fällen und sich vorwiegend der linken Gehirnhälfte zu bedienen, sondern auch auf unser Herz und Bauchgefühl zu hören, indem wir auf unser Erfahrungsgedächtnis, mehrheitlich in der rechten Gehirnhälfte verortet, zurückgreifen. Aber was vernebelt denn unseren Kopf und lässt uns in entscheidenden Momenten nicht klar denken? Ganz einfach Stress – oder genauer gesagt, die aktivierte physiologische Stressreaktion. Stress versperrt unseren Zugang zu unserem Selbst, weil der erhöhte Cortisolspiegel unser Denkhirn vom restlichen Erfahrungsgedächtnis, also unserem Selbst, abkoppelt und so unsere ganzheitliche Sicht einschränkt.

Aber einmal durch Stress abgekoppelt, was tun? Der Weg in sich hinein und zum eigenen Selbst läuft über die Körperinnenwahrnehmung, auch Interozeption genannt, also über das Hineinspüren in den eigenen Körper. Die Interozeption ist auch unser Weg in die Entspannung und weg vom Stress, wenn wir gleichzeitig unsere muskulären Anspannungen loslassen und uns einen Moment der Ruhe gönnen.

Alles in allem braucht es eine gewisse Kongruenz zwischen Kopf, Herz und Bauch. Denn wenn wir über längere Zeit nicht uns selbst sein können, unsere Herzenswünsche ständig unterdrücken und die Signale aus der Bauchgegend überhören, leidet über kurz oder lang unsere Gesundheit – es entstehen beispielsweise Burnout oder Depressionen oder wir treffen stressgesteuerte Fehlentscheide, die wir später bereuen könnten. Das Bauchgefühl, als eine gute und wichtige Leitplanke für treffsichere Entscheidungen, kann wieder gehört werden, wenn wir uns über das Hineinspüren mit uns selbst verbinden. Dann kann auch der verborgene Luxus in Erscheinung treten, nämlich das Gefühl, wir selbst sein zu können, uns für das Richtige im Leben einzusetzen, standhaft zu sein, den Blick für das Wesentliche nicht zu verlieren und sich für Werte wie Ehrlichkeit und Fairness sowie uns für unsere ganz individuellen Werte einzusetzen. Das macht zufrieden. Mit uns selbst verbunden, können wir nicht nur reflektieren und nachhaltig gute Entscheidungen treffen, sondern uns auch am Luxus verbesserter Lebensqualität und Gesundheit erfreuen sowie daran, gleichzeitig rechtlichen und finanziellen Desaster vorgebeugt zu haben. Zur Besinnung kommen lohnt sich also.

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